Ysselsteyn (NL)/Lengerich. Im Mai und Juni 2024 erkundete die 10. Klasse der Gesamtschule Lengerich/Tecklenburg Erinnerungskultur in den Niederlanden und in der Heimatstadt Lengerich anhand der Kriegsgräber.
Bei einem mehrtägigen Besuch in der Jugendbegegnungsstäte Ysselsteyn beschäftigten sich die Schülerinnen und Schüler nicht nur mit ausgewählten Biografien der fast 32.000 Kriegstoten auf der Kriegsgräberstätte, sondern legten im Rahmen von begleiteten Reinigungsarbeiten selbst Hand an. Die Reinigungsarbeiten zeigten den Schülerinnen und Schülern, wie viel Zeit und Arbeit es bedarf, eine Kriegsgräberstätte zu pflegen und einen würdigen Ort zu gestalten. Die Kriegsgräberstätten des Volksbundes leben von der Arbeit vieler ehrenamtlicher Initiativen, die in ihrer Freizeit Pflegearbeiten im Ausland übernehmen.
Um tiefer in die niederländische Erinnerungskultur einzutauchen, besuchte die Klasse das "Orloogsmuseum" in Overloon. Die Anreise von 16 km wurde landestypisch mit den Fahrrädern der Jugendbegegnungsstätte gemacht. Das "Orloogsmuseum" ("Kriegsmuseum") in Overloon mit dem Motto „Krieg gehört ins Museum“ präsentiert die Geschichte des Zweiten Weltkriegs und zeigt, wie die unterdrückte niederländische Bevölkerung auf erfindungsreiche Weise mit Beschränkungen und Mängeln umging. Neben Verfolgung der insbesondere jüdischen Bevölkerung thematisiert die Ausstellung auch den Widerstand gegen die deutsche Besatzung und die Befreiung der Niederlande.
Nach dem Besuch der Kriegsgräberstätte Ysselsteyn widmete sich die Klasse den lokalen Kriegsgräberstätten in Lengerich. Auf den fünf Kriegsgräberstätten in Lengerich sind 155 Kriegstote beerdigt. Darunter befinden sich Soldaten des Ersten und Zweiten Weltkriegs, ausländische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, Kinder der Zwangsarbeiterinnen und Kriegsgefangene, KZ-Insassen sowie Zivilarbeiter.
Im Rahmen der Bildungsarbeit des Volksbundes ist die Auseinandersetzung auf den Kriegsgräberstätten in dem Lebensumfeld der Schülerinnen und Schüler von zentraler Bedeutung. So können die Lernenden erfahren, dass Gewalt, Vertreibung, Vernichtung und nationalsozialistisches Gedankengut auch in ihrer Heimatstadt stattfand.
Denkmäler und Kriegsgräber auf dem Alten Friedhof zeigen dies deutlich. Das Denkmal für die Kriegstoten des Ersten Weltkriegs auf dem Alten Friedhof erinnert daran, dass nach dem Ende des Weltkriegs die junge Nachkriegsgeneration auf einen weiteren Krieg und absolute Opferbereitschaft für die vermeintliche Freiheit eingeschworen wurde. Fast schon vergessen sind die beerdigten Kriegsgefangenen des Zweiten Weltkrieges aus der UdSSR, die ihr Grab am Rand des Alten Friedhofs haben. Sie starben kurz nach ihrer Ankunft in Lengerich an Entkräftung und Krankheit.
Besonders viel Zeit widmete sich die Gruppe dem größten Gräberfeld auf dem Alten Friedhof. Mit Hilfe von Farbkarten erarbeiteten die Schülerinnen und Schüler, dass die Hälfte der auf diesem Gräberfeld beerdigten Kriegstoten nach dem 8. Mai 1945 verstarben. Es führt vor Augen, dass auch lange nach der Eroberung Lengerichs und der Kapitulation des Militärs das Sterben in Lengerich noch lange nicht vorbei war. Auch nach dem Kriegsende starben Soldaten in Lazaretten, Kriegsgefangene und Zwangsarbeitende an Hunger und Krankheit.
Die Fahrt nach Ysselsteyn und die Bildungsarbeit auf der lokalen Kriegsgräberstätte zeigt den Schülerinnen und Schülern, in welchem Spannungsfeld ein Kriegsgrab heute steht. Auch 106 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg und 79 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg mahnen die Gräber und verweisen auf die Bedeutung der friedlichen europäischen Zusammenarbeit.