Warendorf/Riga Am 13. Dezember 1941 führte von Münster aus ein Deportationszug nach Riga, mit dem die Nationalsozialisten rund 1.000 Juden, darunter auch elf Juden aus Warendorf und Freckenhorst, verschleppten. Ausgehend von diesem Transport begaben sich in der letzten Januarwoche 22 Schüler*innen des Paul-Spiegel-Berufskollegs für vier Tage nach Riga auf eine Spurensuche nach den verschleppten und ermordeten ehemaligen Bürger*innen ihrer Heimatregion.
Zunächst ging es für die Schüler*innen um Einblicke in die lettische Geschichte. Im Lettischen Okkupationsmuseum erfuhr die Gruppe, veranschaulicht durch zahlreiche Dokumente und Fotos, viel über die Besatzung Lettlands durch das nationalsozialistische Deutschland bzw. die Sowjetunion zwischen 1940 und 1991 und den Einfluss der Regime auf die lettische Bevölkerung.
„… bedrückend, weil sich seit den 1940er Jahren kaum etwas geändert hat.“
Am zweiten Tag gewannen die Schüler*innen auf einem Rundgang durch das ehemalige Ghetto einen vergleichsweise authentischen Eindruck, da Straßenführung und Bebauung seither weitgehend unverändert geblieben sind. Ergänzt durch historische Aufnahmen und Berichte von Überlebenden erleichterte das die Vorstellung, wie die Verhältnisse im Ghetto gewesen sein könnten; Eindrücke, die bei vielen nachwirkten. Eine von vielen Stationen war die ehemalige Bielefelder Straße, in der auch die deportierten Bürger*innen jüdischen Glaubens aus Warendorf unter unmenschlichen Bedingungen leben mussten.
„Besonders beeindruckend fand ich das Gespräch mit einem Zeitzeugen.“
Nachmittags trafen die Schüler*innen im Museum „Juden in Lettland“ einen der letzten noch lebenden Überlebenden des Ghettos Riga: Margers Vestermanis. Er war als 16-jähriger 1941 von den Nationalsozialisten in das Ghetto verschleppt und später, nach dessen Auflösung, u.a. im KZ Riga-Kaiserwald interniert und zur Zwangsarbeit herangezogen worden. In seinem Bericht legte er den Schwerpunkt auf die späten Phasen des Zweiten Weltkriegs: seine Flucht, seine Beteiligung am Widerstand und sein Überleben im Versteck. Sein Bericht und das anschließende Gespräch waren für die Teilnehmenden der beeindruckendste und bewegendste Programmpunkt.
Am dritten Tag standen die Gedenkorte für die Opfer der nationalsozialistischen Verbrechen im Mittelpunkt. Beim Besuch der Gedenkstätte im Wald von Bikernieki erfuhren die Schüler*innen nicht nur viel über die ermordeten und in Massengräbern verscharrten Juden, politischen Gegner und sowjetischen Kriegsgefangene, sondern auch über die Täter und das Deutsche Riga-Komitee. Nach einer eigenständigen Erkundung der Gräber- und Gedenkstätte stellten Schüler*innen, die sich im Vorfeld der Reise mit dem Schicksal einzelner jüdischer Familien aus Warendorf beschäftigt hatten, in kurzen Referaten ihre Rechercheergebnisse vor.
„Überall lagen Teddys ...“
Dort, wo das Lager Salaspils war, das von sowjetischen Kriegsgefangenen und deportierten tschechischen und deutschen Juden aufgebaut und als Polizeihaftlager und Arbeitserziehungslager für u.a. politische Gefangene genutzt worden war, wurde 1967 zur Erinnerung an die im Lager Getöteten eine Gedenkstätte errichtet. Auffallend waren die überall liegenden Stofftiere – ein Hinweis auf die vielen hier ermordeten Kinder, die 1943 im Zuge der Bandenbekämpfung hierher verschleppt worden waren. Ihre Gräber hinterließen bei den Schüler*innen den tiefsten Eindruck und machten mit einigen etwas, das kaum in Worte zu fassen war.
„… das hat mich sehr berührt.“
Der letzte Programmpunkt war die Zanis-Lipke-Gedenkstätte, deren moderne Ausstellung die Schüler*innen mit einem Audio-Guide erkundeten. Besonders berührt haben Mut und Zivilcourage von Zanis Lipke, der ohne Rücksicht auf geltende Gesetzte und seine eigene Sicherheit mit einigen Unterstützern 56 Juden aus dem Ghetto das Leben rettete. Solche Beispiele zeigen, dass jeder einzelne auch im scheinbar Kleinen in der Rückschau Großes bewirken kann.
Es war zu spüren, dass die Reise allen zu denken gegeben hat und jede(r) einen Moment hatte, in dem die Geschichte sie/ihn besonders berührt hat. Möglich wurde die Reise durch die finanzielle Unterstützung aus dem Programm „Jugend erinnert“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, vergeben durch das International Bildungs- und Begegnungswerk (IBB), und die Stiftung Gedenken und Frieden.
Text und Bild: Daniel Gollmann