Münster. Was im Jahr 2015 im Bezirksverband Münster mit der ersten Studienreise nach Riga unter dem Motto „Auf den Spuren der deportierten jüdischen Nachbarn“ begonnen worden ist, führte in diesem Jahr zur 4. Auflage des gefragten Reiseangebotes. Die 27 Teilnehmenden, die nicht nur aus dem Bezirksverband Münster, sondern aus sämtlichen Bezirksverbänden des Volksbundes in Nordrhein-Westfalen stammten, sind nun wieder nach Hause zurückgekehrt.
Neben den Teilnehmenden, die sich in Gedenkinitiativen vor Ort engagieren, waren erneut viele Mitglieder und Förderer des Volksbundes dabei. Einige von ihnen waren schon bei der Ausschreibung des Angebotes sehr überrascht, nicht selten war die Frage zu hören: "So etwas bietet der Volksbund an?".
Dabei ist das Ziel der Studienreise klar. Ausgehend vom deutsch-lettischen Kriegsgräberabkommen von 1996 und dem Deutschen Riga-Komitee (www.riga-komitee), das sich 2000 gegründet hatte, wollen wir Mitgliedern und Förderern des Volksbundes sowie Externen die ganze Spannbreite des Gedenkens in der lettischen Hauptstadt zeigen. Der Schwerpunkt der Studienreise ist weiterhin die Spurensuche nach den Menschen jüdischen Glaubens, die im Winter 1941/42 auch vor allem aus dem Westen des ehemaligen Deutschen Reiches, dem heutigen Nordrhein-Westfalen, nach Riga deportiert und dort weitestgehend umgebracht wurden. Daneben geht es aber ebenso um die lettische Perspektive auf diesen Teil der Geschichte und auf die deutsche Besetzung im Zweiten Weltkrieg (1941-1945).
Aufgrund der längeren sowjetischen Besatzungszeit (1940-1941 sowie 1945-1991) hat diese für die ethnischen Letten bis heute oftmals eine größere Bedeutung. Nach einer klassischen Führung durch die schöne Altstadt der ehemaligen Hansestadt Riga hatten die Teilnehmenden im Okkupationsmuseum die Möglichkeit, ihre durch die deutsche Erinnerungs- und Gedenkkultur geprägte "Brille" abzulegen und eine lettische Perspektive auf die Geschichte kennenzulernen. Dass diese Okkupationszeit von einem großen Teil der russischstämmigen Bevölkerung in Lettland wiederum oftmals anders betrachtet wird, wurde dabei im Laufe der Studienreise an vielen Stellen deutlich - einerseits durch den Besuch in Salaspils, einer monumentalen Gedenkstätte aus der Sowjetzeit, die auf dem Gelände eines ehemaligen Konzentrationslagers errichtet wurde, andererseits am Sowjetischen Siegesdenkmal.
Im Gedächtnis bleiben wird den Teilnehmenden ebenfalls ein intensives Gespräch mit Roberts Putnis zum Abschluss der Studienreise. Der ehemalige Chef der jungen Partei „Die Progressiven“ erklärte den Teilnehmenden die innerlettischen Herausforderungen im Zusammenleben zwischen den ethnischen Letten und der russischstämmigen Minderheit, die in dem baltischen Land immerhin knapp 30 % beträgt.
Ein Höhepunkt der Studienreise war sicherlich, wie in den drei Studienreisen zuvor, der Besuch im Museum "Juden in Lettland" und das Zeitzeugengespräch mit dem 93-jährigen Margers Vestermanis. Der Historiker hatte das Museum zum Ende der Sowjetzeit (1989) gegründet, um die lange jüdische Geschichte in Lettland zu dokumentieren. Er ist einer der letzten Überlebenden der Shoah in Lettland, der noch regelmäßig über die damalige Geschichte berichtet. Die Teilnehmenden bekamen durch ihn einen authentischen Einblick in die Verfolgungs- und Vernichtungsgeschichte der lettischen und deutschen Juden in Riga. Dem Mord an den deutschen Juden ging schließlich der Mord an den lettischen Juden voraus.
Im Mittelpunkt der Erkundungen vor Ort standen die Tat- und Gedenkorte der Shoah: das ehemalige Ghetto in der Moskauer Vorstadt sowie die Erschießungsstätten im Wald von Bikernieki und Rumbula, wo sich heute vom Deutschen Riga-Komitee initiierte Gedenkstätten befinden. Der Deportationsbahnhof in Skirotava ist dagegen ein Or für die beiden totalitären Gewaltgeschichten des 20. Jahrhunderts. Von hier aus gingen die Deportationen der lettischen Bevölkerung in den stalinistischen Gulag und hier endeten die nationalsozialistischen Deportationen der deutschen Juden.
In Bikernieki gedachten die Teilnehmenden aus vielen Orten Nordrhein-Westfalens u.a. an die Menschen aus ihrer Heimat, die seinerzeit nach Riga deportiert wurden und dort der Shoah zum Opfer fielen. Zu den Teilnehmenden zählten mit Mechtild Schulze Hessing (Bürgermeisterin der Kreisstadt Borken) und Heike Biskup (Stadtarchivarin in Bottrop) gleich zwei Vertreterinnen von neuen Mitgliedsstädten.
Am letzten Tag der Studienreise zeigte sich nochmals die gesamte Spannbreite des Gedenkens (in Lettland). Die Teilnehmenden besuchten mit der Kriegsgräberstätte in Beberbeki einen Ort, wo viele Soldaten der ehemaligen Deutschen Wehrmacht bestattet sind. Als Teil der ehemaligen Deutschen Wehrmacht waren sie ein Teil des Angriffskrieges vom nationalsozialistischen Deutschland im Zweiten Weltkrieg, in dessen Zuge auch die Shoah begangen wurde.
Fotos: Reinhold Werwer
Text: Matthias M. Ester