Meldungen aus dem Bezirksverband Münster
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Das Überleben war Zufall

 „Das Programm hieß Tod.“

Mit einer bewegenden Gedenkstunde erinnerte die Stadt an das Ende ihrer jüdischen Gemeinde vor 71 Jahren. Auch der „großen Seele“ Mahatma Gandhi darf man widersprechen. Regierungspräsident Prof. Dr. Reinhard Klenke widersprach als prominentester Gast im Ratssaal Gandhis Satz, „dass die Geschichte uns nichts lehrt“, denn: „Wer von der Geschichte lernen will, dem ist sie auch eine Lehrmeisterin.“ Der Blick zurück mit vielen Beteiligten galt zwei Jahrestagen: der Deportation von 214 namentlich bekannten Menschen aus dem Vest am 24. Januar 1942 ins Ghetto von Riga – und der brutalen Räumung des Ghettos vor 70 Jahren am 2. und 3. November ‘43. „Erinnerung ist nicht rückwärts-, sie ist vorwärtsgewandt“, sagte auch Judith Neuwald-Tasbach. Die Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Gelsenkirchen begann ihre Rede mit dem Satz, „ich bin die Tochter von Holocaust-Überlebenden“ und dem betonten Nachsatz: „Ja, ich bin sogar sehr normal aufgewachsen.“ Sie beschrieb den Mut und die Kraft ihrer Eltern, für sich und ihr Kind ein offenes Haus zu führen. „Es war immer viel Leben und Besuch bei uns.“ Von 26 Angehörigen ihrer Familie hatten 24 die Deportationen und Sklavenarbeit der Weltkriegsjahre nicht überlebt. Ihr Vater habe nur „bruchstückhaft“ von Riga erzählt. Er schwieg jahrzehntelang, wie die meisten Eltern der „zweiten Generation“ nach dem Zivilisationsbruch. „Mein Vater wollte nicht, dass ich alles erfahre.“ Erst 2010 traute sich die Tochter von Kurt Neuwald zu, die Gedenkstätten des Mordens in Riga zu besuchen: „Was waren das für Menschen, die am Rande der Grube standen und schossen?“ Judith Neuwald-Tasbach beantwortete sich ihre Frage so: „Es waren ganz normale Menschen, ein Schnitt durch die Gesellschaft. Aber sie haben die Verantwortung für ihr Handeln abgelegt. Ja, das ist es.“ Was der antisemitische „Vernichtungswille“, so Georg Möllers, im „Auschwitz der westfälischen Juden“ anrichtete, wollte auch der Sozialdezernent, Historiker und Buchautor im Rathaus nicht en detail ausbreiten: „Es ist hier nicht der Ort, um mündlich vorzutragen, was es an Grausamkeiten gab.“ Der Gedenktag war auch der offizielle Erscheinungstages des Bandes „Abgemeldet nach unbekannt 1942“ von Möllers und Jürgen Pohl – eine in ihren vielen Zeitzeugen-Zitaten oft grausame Lektüre. „Das Programm hieß Tod. Das Überleben war Zufall.“ Georg Möllers gab seinen Zuhörern einen klug komprimierten Ausschnitt des minuziös recherchierten Werkes – und schloss seinen Vortrag mit einer Verneigung vor Menschen wie Kurt Neuwald und Rolf Abrahamsohn, seinem wichtigsten Zeitzeugen: „Unsere besondere Hochachtung gilt dem Mut der wenigen Überlebenden, die zurückkehrten, die blieben und nicht emigrierten.“ Einen festlichen Akzent für die Gedenkfeier setzte die Jüdische Kultusgemeinde mit den zwölf schönen Stimmen ihres Vokalensembles: Die acht Frauen und vier Männer sangen ein getragenes „Shalom Aleichem“ und anrührend schön „Eli“ (Mein Gott) auf Hebräisch und Deutsch. Instrumentalmusik aus Barock und Renaissance spielte das Ensemble „Audite“ der Städtischen Musikschule. Von Ralph Wilms Quelle – WAZ - www.derwesten.de